04 March, 2022

Wiederholungsfall: Zweiter Termin Bürgerinformation „mobilitéitsplang.vdl.lu“


Luxemburg-Stadt bekommt einen neuen Verkehrsentwicklungsplan. Der Prozess dazu wurde im vergangenen Jahr mit einer denkwürdigen Versammlung im städtischen Theater eröffnet (siehe den Eintrag auf diesem Blog, Oktober 2021). Am 3. März 2022 wurden nun die Ergebnisse einer ersten Arbeitsphase im Limpertsberger Tramschapp vorgestellt (siehe die Grafik der VdL).





Auf dem Podium saßen zwei Schöffen der Hauptstadt, der Chef des städtischen Service Mobilité sowie ein Mitarbeiter, außerdem der Vertreter des auswärtigen Büros, das der VdL hier Zuarbeit leistet. Präsentiert wurden Ergebnisse von drei unterschiedlichen Konsultationen: Erstens eine Online-Befragung zu Verkehrsmittelwahl und -bewertung unter der städtischen Wohn- und Arbeitsbevölkerung, an der über 8.000 Personen teilgenommen hatten. Zweitens die Ergebnisse von Diskussionen, die in drei Sitzungen eines nicht näher erläuterten „Mobilitätsbeirats“ geführt wurden. Drittens die ergänzenden Einschätzungen zur örtlichen Situation aus der Perspektive des auswärtigen Büros. Details der Online-Konsultation können der Website entnommen werden. Die Versammlung selbst wurde im Livestream übertragen und kann HIER auf YouTube angeschaut werden.
    Kommentierende Präsentationen erfolgten zu allen drei Punkten vom Leiter des städtischen Service. Weder der externe Gutachter noch der Beirat sprachen auf dem Podium für sich – eine Praxis, die hier im Land durchaus üblich ist; auch Regierungsbeiräte werden nicht nur durch die Ministerien selbst ernannt, sondern auch zentral gesteuert, kommen eher selten zu eigenständiger Meinungsbildung. Natürlich hat das dann Konsequenzen für den Rahmen, in den dann die Ergebnisse kommentierend eingebettet und bewertet werden.

Befunde und Problemkreise

Würde man die präsentierten Befunde in wenigen Sätzen resümieren, dann ergäbe sich folgendes Fazit: Mobilität und Verkehr sind in der Tat ein Problem, aber man bemüht sich seit geraumer Zeit, auf der richtigen Seite dieser Geschichte zu stehen. Zumal sich die Dinge bereits konkret zum Positiven verändert hätten, mit Parkraumbewirtschaftung und Ausleihrädern, dem neuen Tram und öffentlichem Gratistransport. Anerkannte Baustellen Nr. 1 sind der Radverkehr (Infrastruktur, Netzausbau) sowie dessen latenten Konflikte mit dem Kfz; darüber hinaus ließen sich mehr Leute zum Umsteigen bringen, wenn die Takte von Bus und Tram außerhalb der Spitzenzeiten verdichtet würden und neue Stadtquartiere ihre avisierten Mobilitätslösungen entfalten.
  Unter den wirtschaftlich prosperierenden Städten steht die Hauptstadt mit dem Verkehrsproblem keineswegs allein da. Die jüngere Entwicklung ist vielerorts hochgradig krisenhaft, Klima- und Umweltwirkungen sind erheblich, Verkehrsraum strukturell knapp. Und anders als dies von Bürgerseite geäußert wurde, darf man die Spezifika der hiesigen Situation durchaus anerkennen: vor allem was Wachstumsdruck und -tempo angeht, die Verflechtung der Stadt mit ihrem internationalen Umland, schließlich die Beharrungskräfte eines wohlstandssatten, um das Automobil zentrierten sozialen Milieus (mindestens unter der Wahlbevölkerung). Ökonomische Prosperität einerseits und Größe des Territoriums bzw. Infrastrukturausstattung andererseits stehen hier in so eklatanter Reibung zueinander, dass der aus dem Publikum vorgebrachte Vergleich mit Metropolen wie Brüssel oder London schon schief läuft.

Mobilität und Verkehr als Funktionssystem

Dieses Argument taugt indes nicht zur Verteidigung der Akteure in Politik und Verwaltung. Denn das objektiv gegebene Problem ist immer das eine, und der Umgang damit ist das andere. Dieser Umgang mit dem Problem, das wurde auf der Versammlung deutlich, atmet den Geist des Gestrigen. Etwas zugespitzt erscheint das Verkehrssystem als in sich geschlossener, technisch-ökonomischer Funktionszusammenhang, der weitgehend isoliert ist von den Lebenswelten, Interessen und Möglichkeiten der Individuen. Er ist auf ähnliche Weise abgekoppelt von den Eigenarten der Stadt- und Raumentwicklung. Klimawandel wird, wenn überhaupt, als eine ferne Randbedingung thematisiert, ist Teil der Zielkategorie 5 und rangiert bei Umwelt und Lebensqualität, deutlich hinter dem Imperativ der Erreichbarkeit (Zielkategorie 1). Dass man im 21. Jahrhundert und in der Hauptstadt eines globalen Hochverbrauchers, der die Hälfte seiner Kohlenstoffemissionen durch den motorisierten Verkehr erzeugt, ohne eine klare, quantifizierte Zeit- und Zielgröße in Richtung Dekarbonisierung auszukommen glaubt, das ist schon erstaunlich.
  Auch stellt sich die Frage nach Daten- und Planungsgrundlagen. Natürlich sollte man sich vom Zahlenzauber, den Verkehrsmodelle und -szenarien oft versprühen, nicht beeindrucken oder gar einschüchtern lassen. Aber deshalb komplett auf ein Mengengerüst für Ziele, Maßnahmen und Wirkungen verzichten? Nicht einmal die (im Grunde veraltete) Kenngröße des modal split kommt hier vor, wird mit Zahlen hinterlegt. Mit allgemeinen Spiegelstrichlisten und einer Mischung aus gutem Willen und Konfliktscheu dürften die vielen Aussagen des Planwerks, soweit es bis dato existiert, nur schwer einlösbar sein. Mangels konkreter Indikatoren sind sie auch nicht überprüfbar. Dies wird dann zum Problem für die Verpflichtung des Landes auf spürbare Senkung der Treibhausgasemissionen, die es auf dem Pariser Klimagipfel von 2015 eingegangen ist. Die von Regierungsvertretern jetzt fast mantra-mäßig anschwellende Rede vom „Luxembourg in transition 2050“ hat die Hauptstadt offenbar komplett unbeeindruckt gelassen.

Von friedlicher Ko-Existenz und heroic engineering

Ein weiterer Punkt: Denkstil und Programmatik des Plans und seiner öffentlichen Vorstellung sind gespeist von der Utopie der friedlichen Koexistenz der Verkehrsträger. Man will kein Medium bevorzugen oder benachteiligen, sondern alle gleichermaßen zur Geltung bringen. Dieser Ansatz war in den letzten Dekaden in den meisten Verdichtungsräumen der westlichen Welt hegemonial., nachdem sich die Phase der Dominanz des Automobils zuvor als historischer Irrtum erwiesen hatte. Der Versuch der Koexistenz, und hier ist sich die Fachwelt einig, soweit man das überblicken kann, ist allerdings krachend gescheitert. Deshalb wagt man sich vielerorts, mal mehr, mal weniger strukturiert, an die Bändigung des Straßenverkehrs. (Dass es dabei oft um Rhetorik geht, weniger um echte Praxis, sei dahin gestellt). Auf die objektiven Grenzen dieses nicht wirklich friedlichen Miteinanders der Verkehrsträger ging ein Beitrag aus dem Publikum ein, ohne eine Antwort zu bekommen. Vielsagend ist dagegen die Hochfrequenz, in der die Präsentation den Begriff der „Optimierung“ aufrief. Dies sagt Einiges über die hiesigen Ansprüche aus. Es ist, wenn man so will, der Esprit des heroic engineering, der 1980er Jahre, der hier grüßen lässt. 
    Damit markiert die Versammlung auch einen Kontrast zur Auftaktsitzung vom Oktober: Im Angebot ist nicht mehr die „Ville avant-gardiste“, die die Bürgermeisterin dort für sich reklamierte, sondern die staubtrockene Bearbeitung eines durchaus dramatischen Problems. Sie ist situiert in einem semantischen Spektrum zwischen „alles nicht so schlimm“ und „wir bemühen uns besser zu werden“. Diese gebremste Ambition ist insofern absolut realitätsnah, selbst wenn dieser Eindruck womöglich unbeabsichtigt entstanden ist. Man hat zurecht erst gar nicht versucht, mit dem derzeit populären Begriff der „Wende“ zu wedeln. Dies wäre auch absurd – weil man so etwas weder will noch sich zutraut, und weil selbst der Hauch von verbaler Radikalität im herrschenden Weltbild keinen Platz hat.
    Es ließen sich noch Punkte hinzufügen, etwa zum Entwurf von Strategien, zur Verzahnung von Urbanismus und Verkehrsplanung, zur hochkomplexen Beziehung zwischen Hauptstadt und Region. Dass eine zentrale Ursache des strukturellen Mobilitätsproblems der Stadt das krasse Missverhältnis zwischen Wohn- und Erwerbsbevölkerung ist (das die Stadt durch ihre anhaltende Verdichtung als Dienstleistungszentrum selbst weiter vorantreibt), blieb ohne Resonanz. Es darf in Zukunftsvisionen nicht fehlen. Es gibt noch zwei Sitzungen, warten wir also ab.

Zu welchem Ende partizipativ?

Zum Schluss kommt ein anderes Mantra in den Blick – das der Transparenz und Partizipation. In diesen Plan wird die Bürgerschaft eingebunden, das ist löblich. Die genannte Website bietet den Stand des Erarbeiteten, wenn auch der Weg dorthin verborgen bleibt. Man hätte im Mobilitätsbeirat „sehr kontrovers“ diskutiert, wurde auf Nachfrage konzediert. Wie kontrovers genau und vor allem warum, dies hat die Öffentlichkeit leider nicht erfahren. Zumindest das Format der Informationsversammlung gleicht in dieser Hinsicht einer Einbahnstraße, und es ist lückenhaft. Was sich im Tramschapp an Kommunikation artikulierte war eher erratisch, ein vom Zufall der Fragestellung geleitetes Experiment, keine offene, gegenseitige Auseinandersetzung. Vielleicht ist dazu auch der Beirat gedacht. Es wäre aber gut, der interessierten Öffentlichkeit statt vieler Details die Knackpunkte auf dem Weg zum Plan zu benennen. Ernst gemeinte Partizipation hat nur dann einen Wert, wenn dabei über alternative Pfade beraten wird, jeweilige Vor- und Nachteile abgewogen werden können. Sollte auch hier, wie so oft im Land, zum Schluss eine ultimative, als allein „richtig“ erkannte Lösung angestrebt werden, dann wäre Partizipation Selbstzweck gewesen, nicht aber kreatives Mittel einer veränderten Praxis.

Markus Hesse

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