Im Herbst waren Kollege Florian Hertweck und ich zu Gast bei einer zivilgesellschaftlichen Initiative, die sich für mehr Denkmalschutz, einen besseren Umgang mit dem Baubestand sowie weniger Abriss im wachstumsgetriebenen Luxemburg einsetzen. Über einen dort anwesenden Redakteur des 'Luxemburger Wort' und sein Interesse an einem Interview wurde mein Kontakt zur Zeitung wieder aufgefrischt. Das Ergebnis wurde am 13. Januar 2023 veröffentlicht. Ein längeres Gespräch über das Planen, Bauen sowie die Politik, mit einem teaser auf der Titelseite.
"Länger" heißt auch bei einem fast zweiseitigen Interview, dass ein derart komplexes Problem wie das Wachstum der small-but-global city Luxemburg nicht erschöpfend behandelt werden kann. ("Immer an die Leser denken"). Vor allem kommen die spezifischen Produktionsbedingungen von Stadt sowie die entsprechenden Praktiken der maßgeblichen Akteure dann zwangsläufig zu kurz. Es geht ja nicht um das schönste Gebäude oder das grünste Quartier, sondern um soziale Prozesse und wirtschaftliche Dynamik, und es geht darum, welche Spielräume diese beiden den städtischen Akteuren zur Stadtgestaltung lassen bzw. ob und inwiefern diese genutzt werden.
Ist alles dazu gesagt? Im Prinzip ja. Es gibt auch - unwissenschaftlich formuliert - haufenweise Publikationen und Berichte zu diesem Thema, wissenschaftliche Veröffentlichungen (mit und ohne peer review), solche die ans Allgemeinpublikum gerichtet sind u.v.a.m. Sage niemand, dass sich die Uni nicht mit dem Land auseinander setzen würde.
Gelegentlich ist auch der Blick zurück instruktiv. Das letzte Mal wurden Inhalte aus unserer Forschung auf der Titelseite des Wort am 8. Juli 2017 präsentiert. Damals hatte ich eine Einladung als Chefredakteur für einen Tag -- ein wirklich interessantes Unterfangen, gemeinsam mit der Redaktion über eine Auswahl von Beiträgen zu i.w.S. urbanen Themen zu beraten. Außerdem war mit dieser Rolle das Privileg verbunden, den Leitartikel des Tages zu verfassen. Der steht hier rechts, und aus Gründen der besseren Lesbarkeit kommt der Text hier unten im Original nochmal. (Der Text wurde übrigens 1:1 von der Redaktion übernommen, mit Ausnahme des an den Beginn des Titels gerückte "Und". Das klang dann vielleicht doch zu sehr nach Johannes R. Becher).
Damit verbunden ist die Preisfrage des Tages: stimmt die Diagnose noch? Sind die Bewertungen korrekt, oder hat sich seither Substanzielles geändert? Gelegentlich, so finde ich, ist es erhellend, die alten Texte zu konsultieren...
Der Zukunft zugewandt
Von Markus HesseAusgewählte Beiträge in der heutigen Ausgabe dieser Zeitung werfen einen Blick auf Vergangenheit und Zukunft des Großherzogtums. Diese Übung ist mit einigen Perspektivwechseln verbunden: Es geht nicht nur darum, für die Zukunft aus der Vergangenheit zu lernen, oder Geschichte im Licht der Gegenwart besser zu verstehen. Im kleinen Land geht es immer auch um das Verhältnis von innen und außen, um das Wechselspiel zwischen den eigenen Interessen und denen Dritter, um die geschickte Positionierung des Kleinen in Nachbarschaft zu den Großen.
Mit Blick darauf liest sich die jüngere Vergangenheit Luxemburgs in der Tat als Erfolgsgeschichte, wie sie die Selbstbeschreibung des Landes bestimmt und wie sie auch von vielen, wenn auch nicht allen, Beobachtern von außen geteilt wird. Über mehr als ein Jahrhundert hinweg war man offen für die Zukunft und hat sich geschickt international positioniert; bemerkenswert auch die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. Als nur ein Beispiel unter vielen: der Sprung vom Satellitenbetrieb zum Weltraumbergbau erscheint fast als ein logisches Kapitel im Fortsetzungsroman des erfolgreichen Wandels.
Was in der Vergangenheit gelungen ist, muss aber nicht ewig gelten, selbst wenn man die Finanzkrise elegant umschifft hat, das Rentenproblem vorläufig vertagt und beim Propheten Rifkin eine neue Zukunft bestellt wurde. Doch die Erfolgsgeschichte hat schon heute massive Bildstörungen. Das Land ächzt unter der Ungleichzeitigkeit von wirtschaftlichem Wachstum und den sehr viel trägeren Infrastrukturen; Letztere sollen den Betrieb nicht nur am Laufen halten, sondern Stadt und Land lebenswert machen. Verkehrsstaus und Immobilienpreise sind allerdings nur die oberflächlichen Signale dafür, dass das Erfolgsmodell „Nische im globalen Netz“ an seine objektiven Grenzen stößt. Von den Großbaustellen Schule und Bildung, Sprache oder nationale Identität ganz abgesehen.
Die Spielräume für weiteres Wachstum im Innern erscheinen ebenso aufgezehrt wie die stetige Mobilisierung der Ressource Arbeitskraft von außen. Geradezu heroisch mutet der Versuch an, Arbeitsplätze und Wohnraum (in dieser Reihenfolge) für künftiges Wachstum zu schaffen, die nötigen Verkehrswege zu planieren und zugleich Lebensqualität und soziale Kohäsion sicherzustellen. Ob das tatsächlich funktioniert, oder ob die Erfolgsgeschichte zur Illusion wird, wissen wir nicht. Es ist aber offensichtlich, dass Landesplanung, Urbanismus und Lokalpolitik im selbst gewählten Schatten der wirtschaftlichen Entwicklung stehen. Die mitunter großen Hoffnungen auf eine Ordnung des Raumes sind kaum einlösbar, sollen Wirtschaft und Wohlstand weiter wachsen wie bisher.
Die politisch Verantwortlichen sind um diese Herausforderung nicht zu beneiden: Das Problem hat sich längst verselbständigt, einfache Rezepte zur Lösung gibt es nicht, und gute Ratschläge sind in der Politik unpopulär. Kann die Vergangenheit eine Lehre für die Zukunft bereithalten? Diese Erwartung erscheint verwegen, und doch lohnt es sich darüber nachzudenken, die nach außen erfolgreiche Öffnung auch im Innern zu praktizieren. Wer modern sein will, muss Transparenz statt Kontrolle ausüben, produktiven Streit zulassen und die Bürgerschaft auch an wichtigen Entscheidungen beteiligen. Und die richtige Mischung aus konkreter Utopie und Realitätssinn im Auge haben. Die Zukunft so anzunehmen wie sie ist, nämlich widersprüchlich, facettenreich und kaum planbar -- dies heißt ja nicht, dass Politik nur daraus bestehen würde, das zu tun, was ohnehin geschieht.