Ein neuer Mobilitätsplan für die Hauptstadt
Mit einer öffentlichen Informationsveranstaltung im Studio des städtischen Theaters hat die Stadt Luxemburg am 13. Oktober den Startschuss für einen auf ca. 15 Monate angelegten Prozess gesetzt, der zur Erarbeitung eines neuen Mobilitätsplans führen soll. An der Versammlung haben neben der Bürgermeisterin sowie Mitgliedern des Schöffenrats auch Mitarbeiter der kommunalen Administration sowie ein externer Gutachter teilgenommen. Der Prozess ist, so wie es heute als gute Praxis gilt, mehrstufig aufgebaut und enthält neben einer Analyse der bestehenden Situation auch eine umfangreiche Beteiligung der Öffentlichkeit; auch lässt sich die Stadt durch ein Begleitgremium beraten, in dem Zivilgesellschaft sowie Vertreterinnen und Vertreter wichtiger Interessengruppen mitarbeiten. Vier fachlich orientierte Büros aus Deutschland und Luxemburg sind zur Unterstützung engagiert.
Der Prozess fällt in eine Zeit, in der die urbane Mobilität auch in Luxemburg-Stadt lebhafter denn je diskutiert und hinterfragt wird. Seit Corona wird verstärkt gefordert, die unübersehbare Dominanz des Kfz-Verkehrs zu brechen und, beispielsweise, dem Radverkehr mehr Platz einzuräumen. Solche Anliegen wurden anfangs noch mit dem eher kuriosen Verweis auf die Historie der Stadt als Festung erwidert, deren Platz nun einmal begrenzt sei. Auch wurden einige temporäre Infrastrukturen (vulgo Pop-up Radwege) zum Ende der Sommerpause wieder entfernt; mit weitergehenden, strukturellen Lösungen tut man sich offensichtlich schwer. Dass die ‚Stad‘ auf diesem Gebiet glaubwürdig eine Vorreiterrolle einnehmen würde („Ville avant gardiste“), wie in ihren einschlägigen Publikationen bereits zu lesen war, wird wohl niemand ernsthaft behaupten können.
Immerhin arbeitet man nun an einer Strategie, die es so bisher nicht gab. Damit holt die Hauptstadt eine Entwicklung nach, die in den Nachbarländern bereits vor dreißig Jahren eingesetzt hatte. Das ist im Licht des hiesigen Problemdrucks, einerseits, zweifellos zu begrüßen. Andererseits trügt die Hoffnung, dass man mit guten Absichten, sektoraler Politik und einer Prise Demoskopie das hartnäckige Mobilitätsproblem würde lösen können. Denn die Lehren dieser Praxis aus den Nachbarländern sind u.a., dass Ansätze auf den Gebieten der Verkehrsorganisation und -infrastrukturpolitik an sich das Mobilitätsbild nur begrenzt neu formatieren können. Mobilität und Verkehr sind kein Ressortgegenstand. Sie sind auf vielfältige Weise mit Nachbarfeldern – etwa der Stadtplanung – verzahnt. Will man, so die Wortwahl der Stadt, tatsächlich „integriert“ vorgehen, kommt man nicht umhin, die Silos der ingenieurmäßigen Betrachtung tatsächlich aufzulösen. Mobilität muss im Kontext von Städtebau, Wohnen, Arbeiten oder Freizeitverhalten betrachtet werden.
Diese horizontale Einbettung des Verkehrs in Raumentwicklung, Wirtschaft und Gesellschaft ist das eine Grundproblem jeden Versuchs, den Verkehr neu zu gestalten. Die Messlatte hierfür liegt indes in Luxemburg außergewöhnlich hoch, höher als anderenorts – zum einen aufgrund der atemberaubenden Wachstumsraten des Sozialprodukts, die politisch aber sakrosankt sind, zum anderen durch Zufluss von außen durch die Grenzpendler. Zwar ist richtig, dass die Hauptstadt dieses Problem nicht allein lösen kann. Aber muss sie sich deshalb gleich für unzuständig erklären? Durch ihre Ansiedlungspolitik trägt sie ja selber massiv dazu bei, dass die Hauptstadt wie ein Schwamm im Wachstumsmeer fungiert. Wer mehr Arbeitsplätze ansiedelt, zieht auch mehr Verkehrsbewegungen an. Wäre es an dieser Stelle nicht sinnvoll, Telearbeit und digitale Vernetzung auf der Ebene der Großregion stärker zum Thema zu machen? Natürlich sind standortsuchende Unternehmen zunächst souverän in ihrem Handeln. Doch hat die Stadt das letzte Wort in der Verfügung und Nutzung von Grund und Boden – Entscheidungen über Art und Maß der baulichen Nutzung und damit zentrale Randbedingungen künftiger Verkehrsentwicklung werden dadurch gesetzt. Weitere große Verkehrserzeuger sind in Planung. Herrscht auch dort das Primat der Erschließung? Welche neuen Ansätze sind vom Mobilitätsplan diesbezüglich zu erwarten? Neben der Abstimmung unter den Agglomerationsgemeinden ist die gemeinsame Planung von Flächennutzung und Verkehr der Lackmustest für jeden integrierten Plan.
Das zweite Kardinalproblem der Stadt- und Verkehrsplanung, an dem sich Fachplanerinnen und -planer abarbeiten, bündelt sich im Begriff des ‚scale‘. Damit ist das Maßstabsproblem in Raumentwicklung und Raumplanung gemeint, vor allem die Schwierigkeit, in miteinander eng verzahnten, gegenseitig voneinander abhängigen politisch-administrativen Systemen die richtige Entscheidungsstruktur zu finden. Die Hauptstadt ist hierfür paradigmatisch, denn sie ist Zentrum eines de facto-Stadtstaates, ohne dass sie die entsprechenden Steuerungsmöglichkeiten für seine räumliche Organisation besitzen würde. Dieses Problem ist nicht auf das Großherzogtum begrenzt, sondern zeigt sich im Grunde in allen Stadtregionen zwischen Zentrum und Umland. In einem Kleinstaat mit zwei-Ebenen-System wie Luxemburg ist das entsprechende Dilemma aber besonders ausgeprägt. Hinzu kommt, dass staatliche Organisationen (etwa der Straßen- und Brückenbau, die öffentlichen Bauten, die CFL, der Fonds Kirchberg) eine gewichtige Rolle in der Hauptstadt einnehmen, ohne dass sie jeweils automatisch auch die Ziele der Kommune teilen würden.
Im Grunde kann ein neues Mobilitätskonzept der Hauptstadt ohne sehr enge Einbindung aller Agglomerationsgemeinden und des Staates nicht wirklich funktionieren. Die Frage danach wurde auch im Plenum gestellt. Als Antwort darauf wurde aber nicht mehr als ein lapidarer Verweis auf die eigene Nicht-Zuständigkeit gegeben. Dies gibt wenig Anlass zu Optimismus. Denn damit bliebe das Konzept von vornherein unter seinen Möglichkeiten -- es ist wenig plausibel, dass das Verkehrsbild in der Hauptstadt und in ihrem Einzugsbereich durch derart reaktive Strategien spürbar verändert werden kann. Dies wird jedoch verstärkt als eine ‚harte‘ Rahmenbedingung eingefordert, die vor 30 Jahren so noch nicht existierte: Klimapolitik erwartet besondere Beiträge zur Dekarbonisierung vom Verkehrssektor, die dieser bisher bei weitem schuldig geblieben ist. (Und selbst im Umgang mit dem Möglichen bleibt die Politik verzagt: was nützt die Tatsache, dass über 80 Prozent der Stadtstraßen als Tempo 30-Zone ausgewiesen sind, wenn nicht eine davon kontrolliert wird?).
Den Antworten des Schöffenrates zufolge auf Fragen des Publikums – eine offene Diskussion war das noch nicht – stellt sich der Mobilitätsplan als proaktive Befragung des Publikums dar. Politik erscheint dann primär als Verwaltung des Möglichen, nicht als ambitioniertes Resultat kontroverser Abwägungen. Damit kommen wir zum dritten Wermutstropfen: der Beteiligung der Öffentlichkeit. Einerseits ist Partizipation der scheinbar heilige Gral des neuen Plans. Andererseits muss man im Licht vergangener Erfahrungen befürchten, dass Offenheit primär eine taktische Rolle spielt. Die Nagelprobe wird sein, wie genau eigentlich die Meinung der befragten Öffentlichkeit in die Entscheidungsfindung der Stadt einfließt. Dies ist auch dort, wo zuletzt partizipiert wurde, doch unklar geblieben.
Je länger am 13. Oktober im Studio diskutiert wurde, umso weniger offen erschien die ganze Veranstaltung, hatte das Event eher den Charakter von Abschluss, nicht Auftakt. Aus einer Verteidigungshaltung heraus kann man aber nicht wirklich eine offene Debatte führen. Niemand wird auch erwarten (können), dass der Plan ein realiter hochkomplexes Problem umstandslos einer Lösung zuführt. Aber die Frage, ob es neben dem üblichen Allerlei von Bus & Tram, Vélo und Parking eine Vorstellung von Stadt(-Region) und urbanem Leben gibt, in der der motorisierte Straßenverkehr eine deutlich reduziertere Rolle spielt, ist bei dieser kontrollierten Versuchsanordnung nicht nur offen geblieben. Sie ist vielleicht gar nicht gestellt worden.
Markus Hesse
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