Landesplanung
als Basis nachhaltiger Entwicklung in Luxemburg?: Input zum Déjeuner d’échange « IDÉES À VOLONTÉ »,
Caritas Luxembourg, 25.11.2016
I was
invited to speak to a small group of stakeholders and interested people that
come together a few times a year to discuss a controversial topic. This time,
the event was about sustainable development and spatial planning in Luxembourg,
assuming that there is a key role played out by the latter, in order to achieve
sustainability. A slightly expanded and polished version of my input to the
debate is documented below (in German). -- Markus Hesse
Der Input ging der Frage nach, inwiefern Landesplanung ein Dreh- und
Angelpunkt nachhaltiger (räumlicher) Entwicklung in Luxemburg sein kann. Prinzipiell
dürfte es unstrittig sein, dass das Land einer vorausschauenden überörtlichen
Planung bedarf. Dagegen bestehen Zweifel daran, inwiefern Raum unter den
heutigen Bedingungen verbindlich geordnet werden kann. Die vergangenen Dekaden des
stürmischen, durch Planung relativ ungezügelten Wachstums im Land geben hiervon
einen guten Eindruck, ebenso wie die jüngsten Versuche, kommunalen Eigensinn
durch staatlich verfügte Vorgaben (Sektorpläne) zu drosseln. Auch spricht im
internationalen Vergleich wenig für die Hoffnung, dass räumliche Planung die
entfesselten Kräfte ungleichen wirtschaftlichen und siedlungsräumlichen Wachstums
tatsächlich wirksam bändigen kann.
Zu beachten ist hier zunächst, dass der Luxemburger Kontext sehr spezifisch ist, gekennzeichnet durch die überschaubaren Verhältnisse eines Kleinstaats einerseits und die gewaltigen sozioökonomischen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte andererseits. Luxemburg ist das einzige Mitgliedsland der Europäischen Union, dessen Gemeinden seit geraumer Zeit durchweg an Bevölkerung gewinnen. Der außergewöhnliche Wachstumspfad des Landes ist erst recht ablesbar an der Zunahme von Sozialprodukt und Arbeitsplätzen, mit jährlichen Wachstumsraten in der jüngeren Vergangenheit von bis zu vier Prozent oder gar darüber. Diese Entwicklung liegt im Aufstieg der Hauptstadt zu einem der drei Sitzstandorte der EU und zu einem der bedeutenden Finanzplätze Europas bzw. global begründet.
Zu beachten ist hier zunächst, dass der Luxemburger Kontext sehr spezifisch ist, gekennzeichnet durch die überschaubaren Verhältnisse eines Kleinstaats einerseits und die gewaltigen sozioökonomischen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte andererseits. Luxemburg ist das einzige Mitgliedsland der Europäischen Union, dessen Gemeinden seit geraumer Zeit durchweg an Bevölkerung gewinnen. Der außergewöhnliche Wachstumspfad des Landes ist erst recht ablesbar an der Zunahme von Sozialprodukt und Arbeitsplätzen, mit jährlichen Wachstumsraten in der jüngeren Vergangenheit von bis zu vier Prozent oder gar darüber. Diese Entwicklung liegt im Aufstieg der Hauptstadt zu einem der drei Sitzstandorte der EU und zu einem der bedeutenden Finanzplätze Europas bzw. global begründet.
Das Problem kristallisiert sich in komplexen Maßstabssprüngen:
Luxemburg ist nicht nur kommunaler Planungsraum, den sich der Staat mit 105
Gemeinden teilt. Darüber hinaus ist es Einpendelzentrum in der Großregion sowie
bestens vernetzter Knotenpunkt globaler Dienstleistungen und Finanzströme. Luxemburg
bzw. seine Hauptstadt kann man insofern nicht mehr als klassisches Territorium
verstehen, das ein mehr oder minder großes Umland oder Hinterland versorgt. Es
zeichnet sich vielmehr durch die Vernetzung mit anderen, auch weiter entfernt
gelegenen Standorten aus.(1) Und es hat insofern mehr strukturelle
Gemeinsamkeiten mit Standorten wie Frankfurt, Zürich oder Investmentoasen in
Asien als mit benachbarten Städten ähnlicher Größenordnung wie Metz, Trier oder
Strasbourg. Die skizzierten Besonderheiten machen die Hauptstadt und das
Staatsgebiet insgesamt zu einem relationalen
Raum – einem Scharnier zwischen Globalisierung und lokaler Ebene. Dieser Raum
stimmt bei weitem nicht mehr mit den Grenzen des politisch-administrativ
verfassten Raums überein, was erhebliche Steuerungsprobleme mit sich bringt.
Mit Blick auf die Umwelt hinterlassen das stetige
Wachstum sowie die Spezialisierung des Landes und seiner Hauptstadt auf die
Anziehung höherwertiger Dienstleistungen einen dezidierten räumlichen Fußabdruck,
vor allem durch den stetigen Ausbau der Büroarbeitsplätze. Je mehr Jobs der
Finanzplatz und die europäischen Institutionen generieren, umso größer sind
zwangsläufig die zwei zentralen Herausforderungen für die urbane Entwicklung:
der Mangel an verfügbarem Wohnraum sowie die wachsenden Verkehrsprobleme. Die
hohen Mieten und Kaufpreise für Immobilien sind einerseits eine direkte
Konsequenz des großen Entwicklungsdrucks, der auf dem Territorium lastet;
andererseits wird dieser Effekt durch die Zersplitterung des Grundbesitzes, die
hohe Eigentumsquote sowie die Dominanz kommerzieller Entwickler noch verstärkt.
Werden nun hohe Erwartungen an die Stadt- und Landesplanung
gerichtet, dieses Problem zu lösen, dann muss man wissen, dass die hiesige Planungstradition
gemessen an anderen Ländern bzw. größeren Städten noch jung ist. Schranken
setzende Planung findet zudem im liberalen politisch-ökonomischen Klima des
Landes nur begrenzt Akzeptanz. Im Kern ist die hiesige Raumplanung mit einer
Reihe von Dilemmasituationen konfrontiert, externen und internen, die einer
Lösung des ohnehin komplexen Problems im Wege stehen. Unter den externen Faktoren
sind hier zu nennen extrem hohes
Wachstum in kurzer Zeit, die politische Ökonomie als solche („Geschäftsmodell
Luxemburg“), Widersprüche im Konzept der Nachhaltigkeit (wo die drei
Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales miteinander konkurrieren) sowie
eine insgesamt eher sperrige politisch-administrative Governance.(2) Interne
Probleme auf Seiten der Landesplanung bestehen darin, dass die Planung mit
einem territorialen Response auf eine relationale Situation
reagiert. Diese lässt sich aber nicht ohne Weiteres steuern. Strategien wären
ein Schritt in diese Richtung, sind aber gerade auf lokaler Ebene
unterentwickelt, wo die Gemeinden individualisierte Ziele verfolgen (Wachstum
vs. Bestandssicherung). Kritisch ist auch, dass Nachhaltigkeit primär über Dichte
und Konzentration konkretisiert wird – ein Ansatz, der aufgrund seiner Nachteile
für Lebensqualität, Luftgüte und Klimafolgen durchaus ambivalent zu beurteilen
ist.
Was tun? Eine Herangehensweise, die diesem Problemcocktail angemessen sein könnte, würde sich in mehrere Schritte gliedern. Zunächst wäre es zentral, das Problem
in seiner Vielschichtigkeit, Komplexität wie Interessengebundenheit zu
erkennen, Widersprüche zu akzeptieren und den Diskurs über die Zukunft und die
Lösung damit einhergehender Konflikte (dies ist das Kerngeschäft raumbezogener
Planung) zu öffnen. Dies ist zwingend, um die oft klandestine, verschlossene
Art der Kommunikation über Planungsprobleme und –ansätze im Land zu überwinden.
Dazu wäre es wichtig, sich die nötige Zeit zu nehmen und entsprechende Prozesse
zu organisieren. Die Ergebnisse eines solchen offenen Prozesses sollten in eine
Strategie und in ein lesbares, attraktives Leitbild münden. Damit bekommt die
konkrete Planungspraxis eine Perspektive, und daraus kann dann auch ein
robustes Set von Maßnahmen entwickelt werden, mit denen die verantwortlichen Akteure
in die Umsetzung gehen.
Diese im Kern stadt- und landesplanerischen Schritte wären zu ergänzen um
gezielte Vernetzungen in solchen Themenfeldern, die eng miteinander
verknüpft sind. Dazu zählen i) der sogenannte „Water-Energy-Food Nexus“
(also der Stoffwechsel der Stadt), ii) der eng miteinander verzahnte Kontext
aus Verkehr & Siedlung, sowie
schließlich iii) die Politikintegration
auf verschiedenen Ebenen. Solche im engeren
Sinne fachlichen Diskurse muss man rückbetten in die Diskussion
übergreifender Themen, vor allem bezogen auf Nachhaltigkeit (PNDD). Schließlich
bedarf es der
Verständigung über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Landes
(politische Ökonomie). Diese Debatten können, gemeinsam mit Vorläufern wie Lëtzebuerg 2030 oder 5 vir 12, den Diskurs über die Zukunft
Luxemburgs bereichern. Als Zeitachse für diese Debatte erscheint ein Horizont
von 15-20 Jahren sinnvoll und überschaubar, weniger die nur abstrakt
vorstellbare Zukunft bis 2060.(3)
Als gutes Beispiel für eine solche Strategieentwicklung wird – bei allen
Besonderheiten des Luxemburger Pfades – abschließend auf die Stadt Frankfurt am
Main in Deutschland verwiesen.(4) Hier stellt sich eine mit der hiesigen
Situation durchaus vergleichbare Lage, mit ähnlichen Problemkonstellationen wie
dynamisches Wachstum, hohe Internationalisierung, relativ geringe Gebietsgröße,
hohe Nutzungskonflikte im Stadtraum, zunehmende Knappheit von Wohnraum. Das
dort zur Zeit verfolgte Stadtentwicklungskonzept Frankfurt 2030 versucht, die zukünftige Entwicklung der Stadt mit
verschieden möglichen Entwicklungspfaden zu illustrieren, anhand derer
unterschiedlich auf die wirtschaftliche Situation reagiert werden kann. Dabei wird
eine „klare“ Stadterweiterung der Alternative einer „moderaten“
Stadterweiterung gegenüber gestellt, und beide Handlungsstränge beziehen sich
auf ökonomische Szenarien von „Entschleunigung“ oder „verhaltenem Wachstum“. Inhalt
und Prozess der Frankfurter Strategie bieten eine relativ griffige Anschauung
dafür, wie sich Luxemburg auf die nahe Zukunft und ihre räumliche Umsetzung
vorbereiten könnte.
Ein überzeugender Ansatz in Richtung Nachhaltigkeit beginnt nicht mit
großen Erzählungen und spektakulären Plänen, erst recht nicht mit Vorfestlegungen
der Politik, im Großen wie im Detail. Er steht und fällt mit Offenheit,
Transparenz und Kommunikation, und der beharrlichen Suche nach der richtigen
Richtung. (Das ist – siehe die skizzierten Besonderheiten des Landes – keine
triviale Angelegenheit). Am Anfang steht eine Verständigung über das Problem.
Daraus können dann ein produktiver Streit über mögliche Strategien und konkrete
Schritte zur Umsetzung hervorgehen. Ob diese Schritte dann das Etikett
„nachhaltig“ verdienen, ist die eine Frage, die sich stellt; wie sie in diese
Richtung effektiv wirksam werden können, die andere. Womöglich müssen die
unterschiedlichen Lager in Politik, Ökonomie und Gesellschaft über den sie
trennenden Graben springen und jeweils einander zuhören, reflektieren ... Womöglich
sollten sie nicht Konsens anstreben, sondern aus dem de facto-Dissens etwas
Produktives machen. Andernfalls bleibt es beim gepflegten aber folgenlosen
Gespräch über nachhaltige Entwicklung, über das der ökonomische Imperativ weiteren
Wachstums völlig unbeeindruckt hinwegfegt.
Markus Hesse
Anmerkungen
1) William Alonsos Idee
der „borrowed size“ (geliehenen Größe), mit der er die Funktionsspezialisierung
und überproportionale Bedeutung kleiner Gebietseinheiten gemeint hat, kann hier
als geeigneter Erklärungsansatz in Betracht kommen; vgl. M. Hesse (2016), On
borrowed size, flawed urbanisation and emerging enclave spaces: The exceptional
urbanism of Luxembourg, Luxembourg. European Urban and Regional
Studies 23(4)
612–627.
2) Das rasche Wachstum
der letzten Dekaden kann durch die vergleichsweise träge Infrastrukturpolitik
kaum aufgeholt werden, sondern erzeugt eine Reihe von Ungleichzeitigkeiten
zwischen Nachfrage und Angebot (an Flächen, Wohnraum, Verkehrskapazität).
Stadthistoriker wie Heinz Reif haben dieses Phänomen bereits für die
explosionsartige Urbanisierung durch Industrialisierung währen der
vorvergangenen Jahrhundertwende notiert; vgl. Reif,
H. (2012), Städte und Städteagglomerationen der Montanindustrien in
Deutschland, 1850-1914. Informationen zur
Modernen Stadtgeschichte II/2012, 15–28.
3) Vgl. zur jüngsten
Wachstumsdebatte M. Hesse: Science oder Fiction - Welche Zukunft für Luxemburg?
Lëtzebuerger Land 45, 4.11.2016, S. 11.
4) Stadt Frankfurt am
Main, Stadtplanungsamt (2016): Statusbericht Frankfurt 2030. Frankfurt.
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