04 December, 2016

Landesplanung als Basis nachhaltiger Entwicklung in Luxemburg?



Landesplanung als Basis nachhaltiger Entwicklung in Luxemburg?: Input zum Déjeuner d’échange « IDÉES À VOLONTÉ », Caritas Luxembourg, 25.11.2016

I was invited to speak to a small group of stakeholders and interested people that come together a few times a year to discuss a controversial topic. This time, the event was about sustainable development and spatial planning in Luxembourg, assuming that there is a key role played out by the latter, in order to achieve sustainability. A slightly expanded and polished version of my input to the debate is documented below (in German).  -- Markus Hesse


Der Input ging der Frage nach, inwiefern Landesplanung ein Dreh- und Angelpunkt nachhaltiger (räumlicher) Entwicklung in Luxemburg sein kann. Prinzipiell dürfte es unstrittig sein, dass das Land einer vorausschauenden überörtlichen Planung bedarf. Dagegen bestehen Zweifel daran, inwiefern Raum unter den heutigen Bedingungen verbindlich geordnet werden kann. Die vergangenen Dekaden des stürmischen, durch Planung relativ ungezügelten Wachstums im Land geben hiervon einen guten Eindruck, ebenso wie die jüngsten Versuche, kommunalen Eigensinn durch staatlich verfügte Vorgaben (Sektorpläne) zu drosseln. Auch spricht im internationalen Vergleich wenig für die Hoffnung, dass räumliche Planung die entfesselten Kräfte ungleichen wirtschaftlichen und siedlungsräumlichen Wachstums tatsächlich wirksam bändigen kann.
     Zu beachten ist hier zunächst, dass der Luxemburger Kontext sehr spezifisch ist, gekennzeichnet durch die überschaubaren Verhältnisse eines Kleinstaats einerseits und die gewaltigen sozioökonomischen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte andererseits. Luxemburg ist das einzige Mitgliedsland der Europäischen Union, dessen Gemeinden seit geraumer Zeit durchweg an Bevölkerung gewinnen. Der außergewöhnliche Wachstumspfad des Landes ist erst recht ablesbar an der Zunahme von Sozialprodukt und Arbeitsplätzen, mit jährlichen Wachstumsraten in der jüngeren Vergangenheit von bis zu vier Prozent oder gar darüber. Diese Entwicklung liegt im Aufstieg der Hauptstadt zu einem der drei Sitzstandorte der EU und zu einem der bedeutenden Finanzplätze Europas bzw. global begründet.
Das Problem kristallisiert sich in komplexen Maßstabssprüngen: Luxemburg ist nicht nur kommunaler Planungsraum, den sich der Staat mit 105 Gemeinden teilt. Darüber hinaus ist es Einpendelzentrum in der Großregion sowie bestens vernetzter Knotenpunkt globaler Dienstleistungen und Finanzströme. Luxemburg bzw. seine Hauptstadt kann man insofern nicht mehr als klassisches Territorium verstehen, das ein mehr oder minder großes Umland oder Hinterland versorgt. Es zeichnet sich vielmehr durch die Vernetzung mit anderen, auch weiter entfernt gelegenen Standorten aus.(1) Und es hat insofern mehr strukturelle Gemeinsamkeiten mit Standorten wie Frankfurt, Zürich oder Investmentoasen in Asien als mit benachbarten Städten ähnlicher Größenordnung wie Metz, Trier oder Strasbourg. Die skizzierten Besonderheiten machen die Hauptstadt und das Staatsgebiet insgesamt zu einem relationalen Raum – einem Scharnier zwischen Globalisierung und lokaler Ebene. Dieser Raum stimmt bei weitem nicht mehr mit den Grenzen des politisch-administrativ verfassten Raums überein, was erhebliche Steuerungsprobleme mit sich bringt.
Mit Blick auf die Umwelt hinterlassen das stetige Wachstum sowie die Spezialisierung des Landes und seiner Hauptstadt auf die Anziehung höherwertiger Dienstleistungen einen dezidierten räumlichen Fußabdruck, vor allem durch den stetigen Ausbau der Büroarbeitsplätze. Je mehr Jobs der Finanzplatz und die europäischen Institutionen generieren, umso größer sind zwangsläufig die zwei zentralen Herausforderungen für die urbane Entwicklung: der Mangel an verfügbarem Wohnraum sowie die wachsenden Verkehrsprobleme. Die hohen Mieten und Kaufpreise für Immobilien sind einerseits eine direkte Konsequenz des großen Entwicklungsdrucks, der auf dem Territorium lastet; andererseits wird dieser Effekt durch die Zersplitterung des Grundbesitzes, die hohe Eigentumsquote sowie die Dominanz kommerzieller Entwickler noch verstärkt.
Werden nun hohe Erwartungen an die Stadt- und Landesplanung gerichtet, dieses Problem zu lösen, dann muss man wissen, dass die hiesige Planungstradition gemessen an anderen Ländern bzw. größeren Städten noch jung ist. Schranken setzende Planung findet zudem im liberalen politisch-ökonomischen Klima des Landes nur begrenzt Akzeptanz. Im Kern ist die hiesige Raumplanung mit einer Reihe von Dilemmasituationen konfrontiert, externen und internen, die einer Lösung des ohnehin komplexen Problems im Wege stehen. Unter den externen Faktoren sind hier zu nennen extrem hohes Wachstum in kurzer Zeit, die politische Ökonomie als solche („Geschäftsmodell Luxemburg“), Widersprüche im Konzept der Nachhaltigkeit (wo die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales miteinander konkurrieren) sowie eine insgesamt eher sperrige politisch-administrative Governance.(2) Interne Probleme auf Seiten der Landesplanung bestehen darin, dass die Planung mit einem territorialen Response auf eine relationale Situation reagiert. Diese lässt sich aber nicht ohne Weiteres steuern. Strategien wären ein Schritt in diese Richtung, sind aber gerade auf lokaler Ebene unterentwickelt, wo die Gemeinden individualisierte Ziele verfolgen (Wachstum vs. Bestandssicherung). Kritisch ist auch, dass Nachhaltigkeit primär über Dichte und Konzentration konkretisiert wird – ein Ansatz, der aufgrund seiner Nachteile für Lebensqualität, Luftgüte und Klimafolgen durchaus ambivalent zu beurteilen ist.
Was tun? Eine Herangehensweise, die diesem Problemcocktail angemessen sein könnte, würde sich in mehrere Schritte gliedern. Zunächst wäre es zentral, das Problem in seiner Vielschichtigkeit, Komplexität wie Interessengebundenheit zu erkennen, Widersprüche zu akzeptieren und den Diskurs über die Zukunft und die Lösung damit einhergehender Konflikte (dies ist das Kerngeschäft raumbezogener Planung) zu öffnen. Dies ist zwingend, um die oft klandestine, verschlossene Art der Kommunikation über Planungsprobleme und –ansätze im Land zu überwinden. Dazu wäre es wichtig, sich die nötige Zeit zu nehmen und entsprechende Prozesse zu organisieren. Die Ergebnisse eines solchen offenen Prozesses sollten in eine Strategie und in ein lesbares, attraktives Leitbild münden. Damit bekommt die konkrete Planungspraxis eine Perspektive, und daraus kann dann auch ein robustes Set von Maßnahmen entwickelt werden, mit denen die verantwortlichen Akteure in die Umsetzung gehen.
Diese im Kern stadt- und landesplanerischen Schritte wären zu ergänzen um gezielte Vernetzungen in solchen Themenfeldern, die eng miteinander verknüpft sind. Dazu zählen i) der sogenannte „Water-Energy-Food Nexus“ (also der Stoffwechsel der Stadt), ii) der eng miteinander verzahnte Kontext aus Verkehr & Siedlung, sowie schließlich iii) die Politikintegration auf verschiedenen Ebenen. Solche im engeren Sinne fachlichen Diskurse muss man rückbetten in die Diskussion übergreifender Themen, vor allem bezogen auf Nachhaltigkeit (PNDD). Schließlich bedarf es der Verständigung über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Landes (politische Ökonomie). Diese Debatten können, gemeinsam mit Vorläufern wie Lëtzebuerg 2030 oder 5 vir 12, den Diskurs über die Zukunft Luxemburgs bereichern. Als Zeitachse für diese Debatte erscheint ein Horizont von 15-20 Jahren sinnvoll und überschaubar, weniger die nur abstrakt vorstellbare Zukunft bis 2060.(3)
Als gutes Beispiel für eine solche Strategieentwicklung wird – bei allen Besonderheiten des Luxemburger Pfades – abschließend auf die Stadt Frankfurt am Main in Deutschland verwiesen.(4) Hier stellt sich eine mit der hiesigen Situation durchaus vergleichbare Lage, mit ähnlichen Problemkonstellationen wie dynamisches Wachstum, hohe Internationalisierung, relativ geringe Gebietsgröße, hohe Nutzungskonflikte im Stadtraum, zunehmende Knappheit von Wohnraum. Das dort zur Zeit verfolgte Stadtentwicklungskonzept Frankfurt 2030 versucht, die zukünftige Entwicklung der Stadt mit verschieden möglichen Entwicklungspfaden zu illustrieren, anhand derer unterschiedlich auf die wirtschaftliche Situation reagiert werden kann. Dabei wird eine „klare“ Stadterweiterung der Alternative einer „moderaten“ Stadterweiterung gegenüber gestellt, und beide Handlungsstränge beziehen sich auf ökonomische Szenarien von „Entschleunigung“ oder „verhaltenem Wachstum“. Inhalt und Prozess der Frankfurter Strategie bieten eine relativ griffige Anschauung dafür, wie sich Luxemburg auf die nahe Zukunft und ihre räumliche Umsetzung vorbereiten könnte.
Ein überzeugender Ansatz in Richtung Nachhaltigkeit beginnt nicht mit großen Erzählungen und spektakulären Plänen, erst recht nicht mit Vorfestlegungen der Politik, im Großen wie im Detail. Er steht und fällt mit Offenheit, Transparenz und Kommunikation, und der beharrlichen Suche nach der richtigen Richtung. (Das ist – siehe die skizzierten Besonderheiten des Landes – keine triviale Angelegenheit). Am Anfang steht eine Verständigung über das Problem. Daraus können dann ein produktiver Streit über mögliche Strategien und konkrete Schritte zur Umsetzung hervorgehen. Ob diese Schritte dann das Etikett „nachhaltig“ verdienen, ist die eine Frage, die sich stellt; wie sie in diese Richtung effektiv wirksam werden können, die andere. Womöglich müssen die unterschiedlichen Lager in Politik, Ökonomie und Gesellschaft über den sie trennenden Graben springen und jeweils einander zuhören, reflektieren ... Womöglich sollten sie nicht Konsens anstreben, sondern aus dem de facto-Dissens etwas Produktives machen. Andernfalls bleibt es beim gepflegten aber folgenlosen Gespräch über nachhaltige Entwicklung, über das der ökonomische Imperativ weiteren Wachstums völlig unbeeindruckt hinwegfegt.

Markus Hesse


Anmerkungen
1) William Alonsos Idee der „borrowed size“ (geliehenen Größe), mit der er die Funktionsspezialisierung und überproportionale Bedeutung kleiner Gebietseinheiten gemeint hat, kann hier als geeigneter Erklärungsansatz in Betracht kommen; vgl. M. Hesse (2016), On borrowed size, flawed urbanisation and emerging enclave spaces: The exceptional urbanism of Luxembourg, Luxembourg. European Urban and Regional Studies 23(4) 612–627.
2) Das rasche Wachstum der letzten Dekaden kann durch die vergleichsweise träge Infrastrukturpolitik kaum aufgeholt werden, sondern erzeugt eine Reihe von Ungleichzeitigkeiten zwischen Nachfrage und Angebot (an Flächen, Wohnraum, Verkehrskapazität). Stadthistoriker wie Heinz Reif haben dieses Phänomen bereits für die explosionsartige Urbanisierung durch Industrialisierung währen der vorvergangenen Jahrhundertwende notiert; vgl. Reif, H. (2012), Städte und Städteagglomerationen der Montanindustrien in Deutschland, 1850-1914. Informationen zur Modernen Stadtgeschichte II/2012, 15–28.
3) Vgl. zur jüngsten Wachstumsdebatte M. Hesse: Science oder Fiction - Welche Zukunft für Luxemburg? Lëtzebuerger Land 45, 4.11.2016, S. 11.
4) Stadt Frankfurt am Main, Stadtplanungsamt (2016): Statusbericht Frankfurt 2030. Frankfurt.

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